„Und woher kommen deine Ideen? Ich glaube, ich könnte das nicht, auf Knopfdruck kreativ zu sein." Mein Beruf, ein Hybrid aus Redakteur, Werbetexter und Konzepter, weckt bei manchen meiner Gesprächspartner (w/m/d) falsche Erwartungen. In einer Kommunikationsagentur müssen kreativ denkende und arbeitende Menschen von Berufswegen von der Muse (w/m/d) geknutscht sein. Was nicht ganz der Realität entspricht.
-
Erstens: Die Muse verpasst mir gerne mal eine Kopfnuss, bevor sie mich wie einen bedröppelten Ex auf unbestimmte Zeit fallen lässt.
-
Zweitens: Den Knopf, den ich drücken muss, damit Ideen aus meiner Festplatte im Kopf direkt auf ein weißes Blatt Papier fließen, habe ich bis heute nicht gefunden. Falls jemand diesen sagenumwobenen Knopf entdeckt (eventuell direkt neben dem rosa Einhorn) – ich wäre bereit, für einen Hinweis meine Seele zu verkaufen.
-
Drittens: Ja, Kreativität hat sicher etwas mit der persönlichen Veranlagung zu tun – Psychologen und Neurowissenschaftler begründen dies mit dem „Big Five"-Modell der Persönlichkeit. „Offenheit für Erfahrungen" steht demnach mit der Kreativität in Zusammenhang. Wer neugierig ist und vieles hinterfragt, dem lässt eine blühende Fantasie nicht im Stich.
Fünf Phasen bis zum Output
Steckt Kreativität deswegen gleich in den Genen? Mh. Angeborenes Talent kann nicht schaden, darauf vertrauen sollte aber niemand. Vieles ist routiniertes Handwerk. Ich musste mich in den vergangenen Jahren oft genug quälen, um irgendwann zu erkennen: Hinter vielen meiner Texte und Ideen steckt ein wiederkehrender Prozess, den ich ab Projektstart in mir anstoße. Die Evolution eines kreativen Einfalls teilt sich dabei in fünf Phasen auf. Dass es dafür ein wissenschaftliches Fundament gibt – basierend auf der 1926 entstandenen Theorie des englischen Soziologen und Psychologen Graham Wallace – ist mir erst vor Kurzem in die Hände gefallen:
(1) Vorbereitung
Nur ein vorbereiteter Verstand kann sich auf den Weg zur kreativen Erleuchtung machen. Oder um es im freshen Jugendstil auszudrücken: Ich muss wissen, was Phase ist. Reine Fleißarbeit. Auf dem Themengebiet, auf dem ich rumhirnen soll, muss ich mich inhaltlich aufgeladen fühlen. Briefings und Hintergrundgespräche, Info-Materialien sichten und eine fokussierte Online-Recherche sind also vorab ein Muss, um in die nächste Phase einzudringen ...
(2) Inkubation
Irgendetwas brütet mein Hirn aus. Unterbewusst und im stillen Hinterstübchen. Eine oder mehrere Ideen reifen heran, nichts Greifbares. Die Inkubationsphase wird in Bereichen des Gehirns ausgelöst, die von Wissenschaftlern „Default Mode Netzwerk" – DMN, oder auch Ruhestandsnetzwerk – genannt werden. Das DMN kommt so richtig in Gang, wenn wir uns entspannen. Um uns dann voll aus einem Tagtraum zu reißen ...
(3) Erleuchtung
Da ist er endlich: Der Funke, der überspringt. Der Geistesblitz, der in mein Bewusstsein einschlägt und in mir etwas auslöst ... eine (4) Vorahnung: Das kann was werden. Meine rechte Hälfte des Gehirns ist freudig aktiv und stupst zunehmend den linken Stirnlappen an. Was wiederum den Schlussakkord des kreativen Prozesses einläutet. Die letzte Phase: die (5) Bestätigung. Ich bewerte meine Idee – um sie dann umzusetzen und wagemutig der Außenwelt zu präsentieren. Oder sie zu vergraben.
Off the record: schnöde Theorie löst noch keine kreative Blockade
Das hier skizzierte 5-Phasen-Modell ist archetypisch. Wenn der Weg von der Aufgabenstellung zum kreativen Output genau diesen Weg nimmt: Lasset die Korken knallen. Wenn die olle Muse nach der Vorbereitungsphase aber einfach wegbleibt: In Kombination mit Ausdauer, Durchhaltevermögen und Disziplin kann Kreativität auch mal grobschlächtig erzwungen werden.
Tipp, um der Kreativität einen Anschub zu geben: einfach anfangen.
Trauert ein Blatt dauerhaft blanko vor sich rum, schreibe ich das Aufgabenthema mittig aufs Papier. Und lasse dann den Stift wild drum herum kreisen – ganz analog. Nix Durchdachtes. Was mir gerade so in den Sinn kommt, alles darf raus aus der matschigen Birne. Dabei kommt es auch schon mal vor, dass ich während der Kritzelphase meinen häuslichen Einkaufszettel erweitere und ergänze. Oben links steht ein flotter Dreiklang. Weiter unten was schlecht Gereimtes. Hier die Idee für eine knackige Subhead oder der mutige Einstieg in eine Reportage. Und zwischendurch der wichtige Hinweis an mich: „Eier, Paniermehl und 500 g Mett". In dem Moment muss mich mein Gehirn darauf aufmerksam gemacht haben, dass gerade jetzt eine Bulette großartig wäre. Was dieses wirre Vorgehen bringen soll? Geübte Hirnregionen beginnen, Informationen auszuwählen, zu kritisieren. Mein Unterbewusstsein stolpert über Stichwörter, die für die anstehende Aufgabe durchaus brauchbar und letztendlich zu einer kreativen Idee führen könnten. Und abends gibt's ´ne Frikadelle drauf.
Titelbild: Shutterstock
Ein Geistesblitz bezeichnet einen plötzlichen – wenn möglich klugen – Einfall. Nun ist das mit den spontanen Eingebungen im täglichen Agenturbetrieb so eine Sache: Die Zeit, entspannt an seinem vierten Flat White zu nippen und Gedanken verloren aus dem Fenster zu blicken, bis die Birne hell erleuchtet, ist nicht da. Die kreative Muse im Kopf muss dann schon mal grob geschüttelt werden, damit die Ideen einschlagen.